“Die Tournee ist unser Wimbledon” – pass auf, was du dir wünschst, Dieter..

Wenn ab heute Nachmittag die Qualifikation zum ersten Springen der 4-Schanzen-Tournee im schneearmen Oberstdorf beginnt, wird wieder ein beträchtlicher Teil der Deutschen während der Flaute zwischen Weihnachten und Neujahr beim ARD einschalten.

Im Vorfeld zur Tournee gab der Skisprung-Experte des Ersten, Dieter Thoma, ein Interview auf der Website des Arbeitgebers zum Mythos der Tour, dem Leben der Athleten während der hektischen 10 Tage und verglich dabei die 4 Schanzen vielleicht gar nicht mal unbegründet mit Wimbledon – zumindest in Anbetracht des Kultstatus’ innerhalb der beiden Sportarten.

Garantiert schmeichelnd gemeint, aber wenn man sich als deutscher Tennis-Enthusiast die Realität vor Augen hält, so ist einem in Anbetracht des von Thoma hergestellten Querbezugs doch eher zum Heulen zumute. In der darauffolgenden Antwort setzt der Weltmeister und Olympiasieger dann noch unbewusst einen drauf, als er seine Sportart als “Randsportart” bezeichnet und vollendete dabei dann den Stich in das Tennisherz.

Zweifelsfrei ist Skispringen keine Breitensportart in Deutschland – aber das häufig wind- und wettergeplagte Abheben von den Schanzen dieser Welt als “Randsportart” zu bezeichnen ist naiv, wenn nicht gar enervierend.

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Die Öffentlich-Rechtlichen übertragen fast jeden einzelnen Wettkampf innerhalb des Winters, häufig auch die für das Endresultat nur bedingt bedeutsamen Qualifikationsspringen am Vortag. Das sind 4 Monate im Jahr, an denen, mit Ausnahme von Weihnachten, an jedem Wochenende die “Randsportart” Skispringen über den deutschen Bildschirm flimmert – und die Quoten geben ARD/ZDF Recht:

Beim letztjährigen Auftaktwettbewerb in Oberstdorf sahen 5,35 Millionen zu, was einem Marktanteil von 20,4% entsprach –und das, obwohl nur ein Bruchteil der Athleten vom Brett ging. Während der Windlotterie am letzten Sonntag des Jahres 2014 schwätzten sich Thoma, Matthias Opdenhövel und Tom Bartels durch den Nachmittag und waren mehr damit beschäftigt, Zuschauer über 3 Stunden hinweg zu vertrösten und das Problem mit der “Freiluftsportart” zu erläutern. Aber alles kein Problem – das Springen wurde auf den Folgetag verschoben und das Erste hat ohne mit der Wimper zu zucken das Programm am Montag umgestellt, um das Auftaktspringen übertragen – ganz so, wie das eben bei einer Randsportart üblich ist.

Nachdem die Öffentlich-Rechtlichen das “Wintersport-Pendant” zu Wimbledon in 2007 zurückergatterten, wird die Tournee von ARD und ZDF mit mehr Liebe behandelt als eine Hollandaise über dem Wasserbad und es werden kaum Kosten und Mühen gescheut, die traditionsreichste Wintersportveranstaltung kostenfrei (mit Ausnahme der GEZ-Gebühren) in die deutschen Haushalte zu senden.

Wer im Vergleich hierzu in Deutschland nur Wimbledon sehen will, blecht 200€ im Rahmen des Sky Sports Paketes (und bekommt dafür nicht mal alle Plätze).

Tennisübertragungen, so die ARD im vergangenen Jahr, seien selbstverständlich nicht einfach in das Programmschema der Öffentlich-Rechtlichen zu integrieren — wenn man sich dann das Schindluder anschaut, das beispielsweise dieses Jahr beim Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart vom SWR betrieben wurde, muss man sich über die “Selbstverständlichkeit” nicht weiter wundern. Wozniacki und Halep spielten ein packendes Halbfinale, aber aufgrund der zeitlichen Einschränkungen zog man der Übertragung dann im dritten Satz den Stecker. Ist schon furchtbar mit diesem Tennis, das mal 15 Minuten länger dauern kann oder bei dem das Wetter dem Programm gelegentlich einen Strich durch die Rechnung macht — gibt’s natürlich in anderen Sportarten nicht.

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Mmmhhh, schon klar, ARD und ZDF, schon klar!

Kurzfristig wird sich in Deutschland hieran nichts ändern, da die momentanen Bemühungen von den Öffentlich-Rechtlichen in Richtung Tennis einem Affront gleichkommen. Andrea Petkovic erzählte erst neuerdings im Sportstudio von ihrem schwierigen Jahr – und so charismatisch die Darmstädterin auch ist, so wenig wird der Standard-Sportschau-Zuschauer zu den problematischen letzten paar Monaten der 28-jährigen einen Bezug haben, da seit den Top-Quoten bei den Olympischen Spielen 2012 kein Damentennis mehr bei ARD und ZDF lief.  Im besten Falle wird man einmal pro Jahr mit einer doppelten Roger Federer Beweihräucherung in Halle abgespeist, zwecks derer eine ganze ZDFlotte für 2 Tage nach Westfalen gekutscht wird.

Natürlich rollt der Rubel im Skispringen nicht annähernd so rund wie im Tennis, aber wenn ein Dieter Thoma etwas über die Ski-Enden schaut, dann sollte er eigentlich feststellen, dass seine Sportart bei weitem nicht so sehr im Randbereich liegt, wie er sie wähnt. Vor allem die Vierschanzentournee ist als Gigant der Sportart in der deutschen Öffentlichkeitswahrnehmung alles andere als schlecht platziert – ganz im Gegensatz zum Tennis, das weiterhin seinen stiefmütterlichen Platz auf dem öffentlich rechtlichen Abstellgleis fristet.

 

About René Denfeld

Weather is my business. Tennis is my playground. Born in the year of the Golden Slam. Just give me all the bacon and eggs you have.
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